Palmaille im Schnee
Nach meinem Elbspaziergang freue ich mich auf den Rückweg über die Palmaille, eine der ältesten Straßen in Altona.
Ich setze meinen Fuß auf die unberührte Schneedecke des Mittelstreifens und stelle mir vor, wie im 17. Jahrhundert – bei wärmeren Temperaturen – auf dieser schnurgeraden Straße Palla a maglio gespielt wurde, ein damals populäres Spiel, bei dem man einen Holzball mit einem schweren Holzschläger mit möglichst wenigen Schlägen bis zum Ende der Straße und dort durch einen eisernen Torbogen schlagen musste. Im Sommer bilden die Linden mit ihren Baumkronen eine schattenspendende Allee. Doch nun sind sie kahl und die kalte Wintersonne malt mit den schneeschweren Ästen und Zweigen ein Batikmuster auf den glitzernden Weg.
Die Fassaden im westlichen Teil der Straße nehmen den Baustil des Rathauses auf. Besonders gut gefallen mir die weißen Häuser auf der Nordseite mit ihrer klassischen symmetrischen Dreiteilung der Fassaden. Ihr Anblick hat etwas Beruhigendes, Ausgleichendes. Der rechts und links der Allee fließende Autoverkehr kommt dieser Stimmung allerdings nicht selten in die Quere. Im 18. Jahrhundert machte der klassizistische Baustil des dänischen Architekten Christian Frederik Hansen die Palmaille zu einer Prachtstraße. Viele wohlhabende Familien ließen sich hier gediegene Wohnhäuser bauen. Im Zweiten Weltkrieg zerstört, wurden sie nach seinen Originalplänen wieder aufgebaut. An den Häusern sehe ich Firmenschilder von Anwaltskanzleien, Immobilienbüros und Reedereien.
Wer kann es sich leisten, hier zu wohnen? Der Dichter Detlev von Liliencron konnte es sich am Ende des 19. Jahrhunderts nicht leisten. Er war ständig in Geldnöten, verlor wegen seiner Schulden verschiedene Anstellungen, war zum zweiten Mal geschieden. Im Juni 1895 gab er eine Anzeige in der Altonaer Zeitung auf:
„Ein deutscher Dichter, längst als solcher anerkannt, trotzdem ohne genügende Existenzmittel, 50 Jahre alt, von Adel, Hauptmann a. D., sucht zum Herbst bei begüterter, vornehmer Persönlichkeit Vertrauensstellung als Sekretär, Repräsentant, Verwalter eines unbewohnten Schlosses oder Herrenhauses oder dergleichen. Adressen mit Gehaltsangabe erbeten unter Chiffre …“
Vor der Hausnummer 100 bleibe ich stehen. In diesem Haus fand er Unterschlupf bei Richard Dehmel, ebenfalls ein bekannter Dichter, ebenfalls geschieden. Beide heirateten 1899 erneut, es war Dehmels zweite Ehe, von Liliencrons dritte. Verbunden durch ihre literarischen Tätigkeiten ebenso wie durch ihre Haltung zum Leben und der Liebe wurden sie zu lebenslangen Freunden.
Gegenüber, auf der Südseite stehen moderne Bürohäuser. Auch das Appartementhaus der Stiftung Seemannsdank, das Kapitänen im Ruhestand und ihren Witwen eine Bleibe bietet, befindet sich dort. Eine unbebaute Fläche vor dem angrenzenden Park gibt den Blick auf die Elbe frei. Der NABU hat an dieser Stelle – wie die Hinweistafel informiert – eine Wildblumenwiese für Schmetterlinge und andere Insekten angelegt. Ich schaue auf den Kohlenschiffhafen, die Köhlbrandbrücke und die eiförmigen Faultürme der Hamburger Stadtentwässerung.
Biege ich nun ab nach Norden und mache mich auf den Rückweg? Ach nein, ich drehe noch eine Runde durch den verschneiten Park und genieße den Elbblick.
Autorin: Helga Mietz